Der Lokwort Verlag hat sich spontan entschieden, aus sieben Texten der fünf Gymnasiasten von Oberwil/ BL das Büchlein «November» herauszugeben. Grund genug, den Berner Buchverlag Lokwort sowie die jungen Schreibenden vorzustellen. Verleger Bernhard Engler gibt Einblick in die aktuelle Literaturszene.
Wie ist Ihr Verlag Lokwort in Bern entstanden?
Bernhard Engler: In meiner Buchbranchen-Karriere fehlte mir noch das Wissen, wie es in einem Verlag zu und her geht. Ich erwarb es in einem grösseren Druckereibetrieb, der auch einen Buchverlag führte und lernte dort Know-how, Personalführung und Aufgaben eines Geschäftsleitungsmitgliedes. Als ich diese Dinge gelernt hatte, wollte ich selbständig werden. Ich gründete meinen eigenen Ein-Mann-Verlag und wusste, was ich wollte und wusste vor allem, von was ich die Finger liess.
Welche Art von Büchern sind in Ihrem Verlag erhältlich?
Im Programm findet man primär erzählerische Literatur, neben Romanen auch Lebensberichte, Biografisches. Dazu kommt die «Nische» mit Berndeutsch-Literatur, die übrigens finanziell am einträglichsten ist. 30’000 verkaufte Exemplare da, 45’000 dort. Wo sich eine normale Startauflage, auch bei mittelgrossen Verlagen, oft zwischen 2’000 und 3’000 Exemplaren bewegt.
Was ist charakteristisch für Ihre Autorinnen und Autoren?
Dass die Schreibe meiner Autoren mit Vitalität geprägt ist und ihre Texte sprachlich nicht überkandidelt daherkommen. Denn – Leser wollen präzis formulierte Geschichten lesen. Und somit können meine Autoren gut erzählen, was opulente Beschreibungen von inneren Gemütszuständen überflüssig macht.
Was sind momentan die neusten Bücher Ihres Verlages?
Neben der kleinen Textsammlung «November» erschien kürzlich ein erzählendes Sachbuch mit Dufterinnerungen zahlreicher Menschen. Die Autorin hat deren Schilderungen gesammelt und bringt – als Herstellerin von Parfums – jeden Duft in einen historisch-kulturellen Bezug. Von einer Krimiautorin, die Psychiaterin ist, ist ein anderes erzählendes Sachbuch zum Thema «Psychische Gesundheit» erschienen. Ein Ratgeber nicht für Kranke, sondern für Gesunde, verfasst wie ein einziger, langer Brief.
Wie beurteilen Sie die junge Literatur?
Ich stelle eine grosse Vielfalt fest, im Moment ist die Form der Autofiktion gross in Mode. Grundsätzlich getrauen sich junge Autoren von heute mehr als Junge von früher, und während die Letzteren vorsichtig mit Kurzgeschichten begannen, veröffentlichen die Jungen jetzt als Erstes stinkfrech einen Roman. Was gar nicht schlecht herauskommen muss. Was mich ausserdem sehr freut, ist, dass die Lyrik aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst wurde. Dies ist ganz klar der Spoken-Word-Bewegung zu verdanken, dem Einbezug von Stimme und Rhythmus, sprich der Musik.
An der BuchBasel haben Sie sieben Schüler/innen aus dem Gymnasium Oberwil /BL entdeckt, die ihre Texte darboten. In einem Schreibworkshop sind sie entstanden, in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Basel. Der Lokwort Verlag hat sich spontan entschieden, aus sieben Texten der fünf Gymnasiasten das Büchlein «November» herauszugeben in der Reihe Lokwort XS, die so kleinformatig daherkommt, und doch so spannend ist. Was hat Sie an den jungen Autorinnen und Autoren so fasziniert?
Die Bandbreite der Themen sowie, dass die jungen «Gymeler» sehr gut artikulieren konnten, und dabei wie frisch von der Leber schrieben. Mussten sie auch, der Workshop dauerte nur vier Tage und einer der Texte war erst kurz vor deren Präsentation an der letztjährigen BuchBasel wie aus dem Nichts entstanden. Der Gymnasiast hat ihn förmlich hingepfeffert, und sein «Last-minute-Beitrag» verlieh dem ganzen Büchlein gleich den Titel. Bei allen Texten beeindruckte mich der Zug, der Vorwärtsdrang, selbst wenn es in einem Beitrag um einen Schreibstau geht, wo die Autorin nicht vom Fleck kommt.
Wie würden Sie die Kurzgeschichten zusammenfassen?
Es sind Momentaufnahmen aus dem Leben junger Leute, ob sie nun aus realen Situationen oder Fantasien entstanden. Der Titel «November» entspricht einem der Texte, passt in die Jahreszeit, wo das Büchlein erscheint und steht für mich auch ein bisschen für die Lebensstimmung von 16- bis 19-jährigen Menschen. Mal ist man in einem Hoch und gleich darauf in einem Tief, und in einigen Texten sitzen die Schreibenden oft etwas in der Klemme. Dieses Dazwischensein passt gut zum Monat November, einen Buchtitel wie «Mai» oder «Juli» hätte ich mir daher weniger vorstellen können. Was die Selektion betrifft war mir neben der Formulierungskraft die Vitalität wichtig, dass die Texte nicht erdrücken, sondern mit einer sprachlichen Leichtigkeit das Darübersinnieren ermöglichen.
Welche Literatur wünschen Sie sich künftig?
Mein Fokus gilt erzählerischer Literatur, egal ob dieses Erzählerische im Belletristik- oder Sachbuchbereich angesiedelt ist. Und ich freue mich auf Manuskripte, die gehaltvoll aber nicht verkopft sind – verfasst von alten Hasen, oder jungem Gemüse.
Interview: Corinne Remund
«Des Schreibens willen zu schreiben»
Dies meinen die Schreibenden des Gymnasiums Oberwil/BL zu ihren Kurzgeschichten, die im Büchlein «November» soeben im Lockwort Verlag Bern erschienen sind.
- «Es sind tolle Texte entstanden, und dafür hat es gar nicht viel gebraucht: Freiheit und Ermunterung, dass Schreiben Sprachkunst ist.» – Hannes Veraguth, Deutschlehrer Gymnasium Oberwil
- «Diese Texte sind aus purer Freude darüber entstanden, wie plausibel die unterschiedlichsten Konzepte miteinander verwoben werden können, wenn es egal ist, was dabei rauskommt.» – Julia Ohm
- «Wenn einmal gar nichts mehr klappen will, tut es gut, allen Druck und alle Erwartungen beiseite zu legen und nur um des Schreibens willen zu schreiben. Damit, dass so einer meiner Text veröffentlicht würde, hätte ich nie gerechnet.» – Mia Rudolph
- «Schon seit ich mich erinnern kann, bin ich immer wieder in meine eigenen Welten und Geschichten eingetaucht. Ich hoffe, dass auch die Leserschaft eintauchen wird und vielleicht einen Moment lang vergessen kann, in welche Richtung die Oberfläche liegt.» – Noah Rosenbaum
- «Essiggurken› ist unglaublich spontan in einer Schulstunde entstanden. Ich habe einfach mit leerem Kopf angefangen zu schreiben und plötzlich hatte ich die erste Hälfte des Textes auf meinem Blatt vor mir liegen.» – Annina Cantoni
- «Ich kann mich nicht daran erinnern, diese Texte geschrieben zu haben. Ausdruck durch Worte ist für mich eine Möglichkeit, die Gedanken im Wintergrau wiederzuerkennen.» – Domenic Schwander
Zum Buch: Literarische Kostproben aus einem Gymnasium? Ja, die gibts. Aus den Texten von fünf SchülerInnen kommt einem ein farbiges Menü entgegen. Vom Sinn des Novembers, von einer fehlenden Kraft im Wasser, grossen Schreibblockaden, kleinen Essiggurken oder einem omnipräsenten Insekt. Leseperlen, die dunkle Herbstnächte aufhellen.
Lokwort Buchverlag, Aegertenstrasse 73, 3005 Bern
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